Dichtung und Wahrheit

Donald Trump ist noch nicht am Ende.

Der ehemalige Prasident ist zwar nicht mehr im Amt, hat nun aber nach Monaten der Spekulation einen groSsen Schritt unternommen, um seine Tyrannenkanzel zuruckzuerobern.

Zunachst twitterte sein Sohn Donald Trump Jr. einen Link. Dieser fuhrte zu Truth Social: einer neuen Social-Media-Plattform, die eine „offene, freie und ehrliche Debatte" verspricht.

In einer Presseerklarung sagte der Ex-Prasident: „Ich habe TRUTH Social und TMTG gegrundet, um mich gegen die Tyrannei von Big Tech zu wehren." TMTG ist die Trump Media and Technology Group, Trumps neues Unternehmen.

Trumps Behauptung, im alleinigen Besitz der Wahrheit zu sein, lasst aufhorchen. Der Ex-Prasident hat eine lockere Beziehung zur Wahrheit. Die Washington Post verzeichnete 30.573 „Falsche oder irrefuhrende Aussagen" wahrend seiner Zeit als Prasident.

Nachdem er 2020 die Prasidentschaftswahl verloren hatte, behauptete er, die Wahl sei ihm gestohlen worden. Diese Falschaussagen stachelten einen Mob an, das US-Kapitol anzugreifen. Trumps Taktik besteht darin, seine Lugen so lange zu verbreiten, bis sie sich als Wahrheit in die Kopfe der Menschen eingebrannt haben. Er ist nicht der erste, der diese Taktik nutzt.

In 1984 schrieb der britische Autor George Orwell eine dystopische Gesellschaft, in der die Gedanken der Menschen manipuliert werden, indem man sie mit Unwahrheiten bombardiert, darunter der paradoxe Slogan „Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei und Unwissenheit ist Starke."

Orwell schopfte aus einem reichen Fundus an real existierendem Totalitarismus. Der Nazi-Propagandaminister Joseph Goebbels soll gesagt haben: „Wiederhole eine Luge oft genug und sie wird zur Wahrheit." Hitler ging sogar so weit, dass er seine Gegner beschuldigte, eine von ihm selbst erfundene Luge zu unterstutzen.

Trump-Kritiker haben auf eine Parallele zu seinen Behauptungen uber gestohlene Wahlen hingewiesen. Diktatoren haben oft historische Ereignisse umgeschrieben, um den Menschen ihre Ansichten aufzuzwingen. Der nordkoreanische Diktator Kim Jong-il beispielsweise stellte sich selbst als Held des Zweiten Weltkriegs dar, obwohl er erst vier Jahre alt war, als der Krieg endete. Und der kasachische Prasident Nursultan Nasarbajew veroffentlichte Marchen mit sich selbst in der Hauptrolle.

Trotz der autoritaren Zuge von Trumps Verhalten argumentieren einige, dass wir weit von einer Gesellschaft wie in 1984 entfernt sind. Trumps neue Medienplattform ist ein geldbringendes Unternehmen. Elf der Hedgefonds, die ihn unterstutzen, werden von Unterstutzern der Demokratischen Partei gefuhrt - angeblich Trumps Erzfeinde.

Und es gibt keine Garantie dafur, dass die Plattform ein Erfolg wird. Sie richtet sich an Menschen, die sowieso bereits Trump-Anhanger sind, und selbst diese mussen sich erst anmelden. Truth Social wird also niemandem aufgedrangt.

Ist dies George Orwells Albtraum?

Ja. 1984 prahlte der Foltermeister O'Brien damit, dass der Staat die Realitat kontrolliert, indem er die Kopfe manipuliert. Trump mag zwar kein politisches Amt mehr innehaben, aber Truth Social bietet ihm eine Plattform, um die Gedanken seiner Anhanger zu beeinflussen. Wenn er eine weitere Wahl gewinnt, konnten er sich als nachstes an das gesamte Land machen.

Nein. Orwells Vision zeigte eine Welt, in der die Gedankenpolizei jeden gefangen nimmt, der auch nur daran denkt, sich dem Staat zu widersetzen. Trump wurde standig kritisiert und verspottet. AuSserdem wird er vielleicht nie wieder in die Nahe eines hohen Amtes kommen.

selbstgefallig - vain

ausloschen - to eradicate

Darstellung - depiction

ubertonen - to drown out

Kanzel - position from which someone can speak out on any issue

Unternehmen - business

Besitz - possession

aufhorchen lassen - to startle

irrefuhrend - misleading

Falschaussage - false statement

Fundus - bank

aus etwas schopfen - to draw on sth.

aufzwingen - force sth. upon someone

Zug - trait

Anhanger - supporter

sich widersetzen - to oppose