Dem Trübsinn ein Ende: Mit Lyrik zum Licht

Wenn jeder jeden Tag ein Gedicht lesen würde, würde es dann keine Kriege mehr geben? Amanda Gormans Gedicht hat die Menschen zusammengeführt und in einer Zeit der Krise als Inspiration gedient.
So etwas hat es beim Super Bowl noch nie gegeben. Nach dem Spiel waren die Schlagzeilen voll von einer jungen Frau, die eins ihrer Gedichte vorgetragen hat.
Amanda Gorman wurde als Sensation bejubelt, als sie ihr Gedicht „The Hill We Climb“ bei Bidens Amtseinführung vortrug. Das Super-Bowl-Gedicht der 22-Jährigen, „Chorus of Captains“, wurde begrüßt, weil es ebenso die Stimmung der Nation erfasste.
Manche meinen, dass Gormans Auftritte von größerer Bedeutung seien. Die Dichterin Nikita Gill glaubt, sie zeigten, dass Lyrik „ein kraftvolles, emotionales Medium ist, das weitreichende Veränderungen hervorbringen könnte“.
Clare Bucknell stimmt dem zu. Sie hebt hervor, dass in den USA eine Reihe von Protestgedichtssammlungen erschienen seien.
Lyrik erlebt einen wahren Boom. In Großbritannien sind die Gewinne von Gedichtsbänden von 6,4 Mio. Pfund in 2012 auf 12,3 Mio in 2018 gestiegen. In den sozialen Medien hat es eine Explosion von Dichtkunst gegeben, „Instapoeten“ sind eine neue Erscheinung.
Nicht alle befürworten dies. Rebecca Watts beklagt „den Aufstieg einer Gruppe von jungen Dichterinnen, die vom Lyrik-Establishment für ihre ,Ehrlichkeit‘ und ,Erreichbarkeit‘ – Modeworte für die offene Verungflimpfung von intellektuellem Engagement und die Ablehnung von Kunst – gepriesen werden.“
Wenn jeder jeden Tag ein Gedicht lesen würde, würde es dann keine Kriege mehr geben?
Schwert oder Feder?
Ja. Gedichte helfen uns, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Im 2. Weltkrieg fühlte sich der Autor und Soldat Patrick Leigh Fermor mit dem von ihm entführten deutschen General verbunden, als sich herausstellte, dass sie beide ein Gedicht von Horaz’ auswendig kannten.
Nein. Dichter befinden sich immer im Streit, und manche Gedichte rufen sogar zum Krieg auf. Patrick Pearse spornte 1916 mit Gedichten wie „Die Mutter“ in Irland zur Rebellion an. John McCraes Gedicht „In Flanders Fields“ aus dem 1. Weltkrieg ermahnt seine Leser, „dem Feind den Kampf anzusagen“.
Du Entscheidest
- Was ist dein Lieblingsgedicht, und warum?
Aktivitäten
- Write a poem of 8–12 lines, in German, on a subject close to your heart. Practise reading it out loud.
Manche Leute Sagen
„Lyrik […] sollte dem Leser als eine Formulierung seiner eigenen höchsten Gedanken vorkommen und fast wie eine Erinnerung erscheinen.“
John Keats (1795–1821), englischer DichterWas meinst Du?
F & R
- Was wissen wir?
- Krieg und Krieger waren anerkanntermaßen die Inspiration zu einigen der wichtigsten Dichtungen der Welt. Die großen, klassichen Heldenlieder „Ilias“, „Odyssee“ und „Aeneis“ handeln alle vom Trojanischen Krieg und seinen Folgen. Das angelsächsische Epos „Beowulf“ feiert seinen Titelhelden, das französische „Rolandslied“ aus dem 11. Jahrhundert und das italienische Epos „Das befreite Jerusalem“ aus dem 16. Jahrhundert waren einflussreiche Dichtungen ihrer Zeit. Während diese jedoch den Ruhm sowie die Tragik von Kriegen erkunden, richten die meisten modernen Gedichte den Blick allein auf die Tragik.
- Was wissen wir nicht?
- Ein Schwerpunkt der Debatte dreht sich darum, wie ernst Instapoesie und gesprochene Lyrik zu nehmen sind. Anthony Anaxagorou bezeichnet die letztere als „eine hochkommunikative, informierte, tief sitzende Art und Weise, zu Menschen eine Verbindung herzustellen und sie gleichzeitig zu unterhalten“. Andere meinen, dass eine geschliffene Vortragung billige Reime, einen monotonen Rhythmus, einen begrenzten Wortschatz und eine allgemein fehlende Vorstellungskraft kaschieren kann. Der Verleger Michael Schmidt beklagt „die Privilegierung von Klischee“ und „die Intoleranz von Feinfühligkeit“ von Instapoesie.
Wichtige Begriffe
- Schlagzeilen
- headlines
- Vorgetragen
- read (out loud)
- Bejubelt
- hailed
- Amtseinführung
- inauguration
- Begrüßt
- greeted
- Stimmung
- mood
- Erfasste
- captured
- Von größerer Bedeutung
- of wider significance
- Weitreichende
- far-reaching
- Hervorbringen
- bring about
- Protestgedichtssammlungen
- anthologies of poems of protest
- Gedichtsbänden
- poetry books
- Befürworten
- applaud
- Beklagt
- decry, complain about
- Verungflimpfung
- denigration
- Ablehnung
- rejection
- Kunst
- here: craft
- Gepriesen
- praised
- Entführten
- kidnapped
- Auswendig
- by heart
Werde Experte
- Ein echter Klassiker: eine der bekanntesten und köstlichsten Parodien einer Dichterlesung im deutschen Film und Fernsehen, Loriots „Krawehl, krawehl!“ aus seinem Film Pappa ante Portas. (3:43)
- Schillers Lied von der Glocke, das wohl berühmteste Gedicht in deutscher Sprache. Hier in seiner vollen Schönheit. Friedrich-Schiller-Archiv (2044 Wörter)
- Es gibt auch deutschsprachige Instapoeten. Der Spiegel zeigt auf, warum sie so beliebt sind. (1034 Wörter)