Können wir Böses tun, ohne böse zu sein? Viele waren schockiert darüber, wie normal die Krankenschwester und Serienmörderin Lucy Letby wirkte - aber andere sagen, dass dies die menschliche Bosheit ausmacht.
Krankenschwester wird zur schlimmsten Kindermorderin GroSsbritanniens
Konnen wir Boses tun, ohne bose zu sein? Viele waren schockiert daruber, wie normal die Krankenschwester und Serienmorderin Lucy Letby wirkte - aber andere sagen, dass dies die menschliche Bosheit ausmacht.
"Unsere Welt wurde zerstort. Wir sind dem Bosen in Gestalt einer fursorglichen Krankenschwester begegneten". So lautete der Kommentar eines Elternteils, der ein Kind durch Lucy Letby verloren hat, die Krankenschwester, die sieben Neugeborene ermordet und moglicherweise bis zu 30 weiteren Kindern Schaden zugefugt hat.
Es gibt ein Detail, das den Eltern so vieler Opfer im Gedachtnis geblieben ist. Wahrend sie sich um Kleinen kummerte, deren Leben sie genommen hatte, wirkte sie oft seltsam frohlich - sogar glucklich.
Gestern wurde sie zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Doch ihr Prozess lieSs eine Frage unbeantwortet: Warum beging diese gewohnliche Frau, die in einem normalen Umfeld aufwuchs, solch schreckliche Verbrechen?
Der Prozess hat viele zum Nachdenken uber das Wesen des Bosen angeregt. Manche meinen, sie sei ein Beispiel fur das, was die Philosophin Hannah Arendt "die Banalitat des Bosen" nannte.
Arendt sprach uber Adolf Eichmann, einen der Hauptverantwortlichen fur den Holocaust. Arendt argumentierte, dass Eichmann normal, ja sogar einfaltig wirkte - sicherlich weit entfernt vom Bosen. Aber es war seine Stumpfheit, die es ihm ermoglichte, so bose Dinge zu tun. Sie bedeutete, dass er einfach tat, was man ihm sagte.
Letby war genauso: jemand, der ganz normal schien und deshalb nie in den Verdacht geraten ware zu toten.
Aber andere sagen, das Bose liegt nicht nur in dem, was wir tun, sondern auch in dem, was wir sind. Die amerikanische Denkerin Judith Shklar vertrat die Ansicht, der wichtigste moralische Wert sei die Ablehnung von Grausamkeit.
Das Bild, das von Letby in ihrem Prozess gezeichnet wurde, riecht nach Grausamkeit. Das Gericht horte, dass sie sich stundenlang die Facebook-Profile der Eltern ihrer Opfer ansah, um sich an ihrem Kummer zu berauschen. Shklar war der Meinung, dass wir diese Vorliebe fur Grausamkeit als die wahre Form des Bosen erkennen sollten.
Konnen wir Boses tun, ohne bose zu sein?
Ja: Letby wirkte nicht bose. Es gab Andeutungen, dass sie versuchte, einen Arzt zu beeindrucken, in den sie verliebt war. Sie war ein ganz normaler Mensch, der schreckliche Dinge getan hat.
Nein: Was wir an Letby erschreckend finden, ist ihre Grausamkeit. Die Babys, die sie totete, oder die Familien, deren Leben sie zerstorte, scheinen ihr immer noch egal zu sein. In dieser Grausamkeit sehen wir die Abgrunde des Bosen.
Oder... Unabhangig davon, ob Letby bose ist oder nicht, ist es wichtig, dass wir nicht zu sehr desillusioniert werden und anfangen, das Bose uberall im Menschen zu sehen. Die meisten Menschen sind weder ungewohnlich grausam noch durch und durch bose.
Glossar
lebenslang - lifetime
die Krankenschwester - nurse
die Haftstrafe - jail sentence
verurteilen (regelmaSsig) - to sentence
wirken (regelmaSsig) - to seem
die Bosheit - the evil
in Gestalt von - disguised as
Schaden zufugen (regelmaSsig) - to harm
das Gedachtnis - memory
das Wesen - essence
sich um jemanden kummern (regelmaSsig) - to care for someone
einfaltig - dull
unter den Verdacht geraten - to be suspected of